1 Jahr Corona – 6 Thesen zur Lage christlicher Gemeinde in der Pandemie

von Gerald Flade

1 Jahr Corona – 6 Thesen zur Lage christlicher Gemeinde in der Pandemie

Seit Beginn des 21. Jahrhunderts erleben wir immer neue Krisen (politische Krisen, Finanzkrise, Energiekrise, Flüchtlingskrise, Klimakrise).
Wir können dankbar sein, dass wir seit dem 2. Weltkrieg keine vergleichbare Krise in Europa erlebt haben. Die Corona-Pandemie ist bei weitem nicht vergleichbar mit einem Weltkrieg. Allerdings hat sie erstmals weltweite Auswirkungen und betrifft jeden Menschen.
Das Dasein in der Welt ist, global betrachtet, eine permanente Krise. Ununterbrochen befinden sich Teile der Welt in Kriegen und schweren regionalen Krisen.
Je globaler die Welt vernetzt ist, desto stärker wirken sich Krisen weltweit aus. Normalzustand der Welt ist – bedauerlicherweise – die Krise. Es ist Gnade, wenn wir lokal auch Zeiten ohne Krise erleben. Nach ihr sehnen wir uns.

1. Corona – ein Seufzen

„Wir wissen, dass die ganze Schöpfung bis zu diesem Augenblick seufzt und in Geburtswehen liegt.“ (Römer 8, 22)

Das Leben auf der Welt kann großartig und beglückend sein. Zeitgleich gibt es unendliches Leid und Unrecht in der Welt.
Die gegenwärtige Krise bedeutet erheblichen persönlichen Verzicht, kräftezehrende Mehrfachbelastungen und wirtschaftliche Existenznöte. Neben der Krise dürfen auch andere globale Nöte nicht aus den Augen verloren werden, z.B. die Klimaerwärmung.
Vom „Seufzen der Schöpfung“ ist nicht nur die Menschheit betroffen, auch die Tierwelt, Pflanzen, Atmosphäre, das Wasser, die Luft. Diese Tatsache liegt nicht nur am Verschulden des Menschen. Es liegt auch daran, dass wir immer mehr werden. Zunehmen muss auch die Anstrengung, die Güter der Erde global zu teilen.
Wenn das „Seufzen der Schöpfung“ Geburtswehen sind, dürfen wir im Vertrauen auf Gottes Verheißungen nicht nur Verbesserung sondern grundsätzlich Neues erwarten.

2. Corona - eine Heimsuchung

„Wir warten auf einen neuen Himmel und eine neue Erde nach seiner Verheißung.“ (2 Petrus 3,13)

Die Welt, in der wir leben, ist keine ideale Welt. Bei allem Staunen über das Schöne und Wunderbare dieser Welt gibt es viel Entzweiung, Zerstörung und Ungerechtigkeit.
Die Welt ist nicht auf Liebe programmiert. Ob Liebe und Mitmenschlichkeit geschehen, hängt vom Willen des Menschen ab, sich im Kampf ums Dasein von der Tierwelt abzuheben und statt des „Rechts des Stärkeren“ dem „Schutz des Schwachen“ zu dienen. Das ist Absicht Gottes, die auch er nicht autoritär durchsetzt.
Im Glauben verheißt Gott eine Welt, in der alle Menschen – im Wissen um das Leid der alten Welt – von Herzen Gottes Willen tun. Diese Welt können wir nicht herbeiführen.
Aber schon heute können wir – kraft Willen und Verstand – die bestehende Welt gemäß der erwarteten gestalten und verbessern.

3. Corona – eine Gefährdung

„Ihr sollt nicht alles „Verschwörung“ nennen, was das Volk Verschwörung nennt, und euch nicht fürchten vor dem, was das Volk fürchtet, sondern fürchtet den Herrn.“ (Jesaja 8,12f)

Es ist gut, furchtlos zu sein statt übersteigerter Ängste und Sorgen. Wichtig bleibt aber die Ehrfurcht vor Gott, der sich unserer Verfügbarkeit entzieht, und vor dem Leben.
Das Prahlen mit Furchtlosigkeit in der Meinung, das Virus durch Ignoranz zu bekämpfen, ist riskant und gefährdet Menschen. Verschwörungen hinter den getroffenen Schutzmaßnahmen zu wittern, verkennt den Willen und Einsatz derer, die die Gesellschaft durch die Pandemie führen müssen, und wie ambivalent jede ihrer Entscheidungen ist.
Andere Menschen sind überängstlich, übervorsichtig und fürchten sich schon beim Anblick anderer Menschen aus Entfernung sich mit dem Virus zu infizieren.

Extreme Positionen gefährden die Gesellschaft – vor allem, wenn sie absolut gesetzt werden und keine andere neben sich gelten lassen.

Aktionismus hindert, sich jetzt aufs Wesentliche zu konzentrieren und bewusst Unwesentliches zurückzustellen. Die Bibel kennt auch Wüstenzeiten, die Menschen innerlich reifen lassen. Jesus selbst hat solche durchlebt.

Die berechtigten Schutzmaßnahmen zur Eindämmung der Pandemie bedeuten auch Abbruch guter Gewohnheiten, Gesten und gewachsener Verbindungen, selbst im kirchlichen Leben. Wir wollen hoffen, wenn es so weit ist, sie weitgehend zurückzugewinnen.

Glaube wird von vielen Menschen – nicht erst seit, aber auch durch die Pandemie – zunehmend – ins Private verlegt. Christliche Gemeinde wird für verzichtbar gehalten. Menschen ziehen sich in enge Zirkel zurück oder „machen den Glauben mit sich allein aus“. Für die christliche Gemeinde bleibt konstitutiv, dass sie „Leib Christi“ ist, an dem einer des anderen Körperglied ist und von den Gaben des anderen profitiert.

4. Corona – eine Bewährungsprobe

„Wir wissen, dass Bedrängnis Geduld bringt, Geduld aber Bewährung, Bewährung aber Hoffnung. Hoffnung aber lässt nicht zuschanden werden, denn die Liebe Gottes ist aus-gegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist.“ (Römer 5, 3-5)

Wenig angefochten ist der Glaube an Gott in Zeiten des Wohlstands, Friedens und persönlicher Freiheiten. Selten folgt daraus Dank, meistens eher Gleichgültigkeit und Abkehr von Gott. Werden Wohlstand, Frieden und Freiheit infrage gestellt, erwachen Zweifel und Rebellion gegen Gott.
Jede Krise ruft uns zurück zu Gott und prüft unser Vertrauen auf ihn – auch im Leid.
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Das Evangelium von Christus verheißt Befreiung aus Verstrickung des Bösen und Vergebung von Gewissenslasten.
Nicht verheißen ist in der Welt ein Leben ohne Kummer und Schmerz. „Wer mir nachfolgen will, nehme sein Kreuz auf sich und folge mir.“ (Matthäus 16,24) Das hat Jesus bis zur letzten Konsequenz selbst vorgelebt.

5. Corona – eine Chance

„Siehe, wenn ich den Himmel verschließe, dass es nicht regnet, oder Heuschrecken das Land fressen oder Pest kommt, und wenn dann mein Volk … sich demütigt, dass sie … mein Angesicht suchen und sich von ihren bösen Wegen abkehren, so will ich sie hören und ihre Sünden vergeben und ihr Land heilen.“ (2 Chronik 7, 13f)

Oft erwachsen aus der Krise ein neues Fragen nach Gott und eine verstärkte Suche nach Orientierung. Gerade jetzt heißt es, dabei zu bleiben, hinzuhören auf Gott, mögliche Gemeinschaftsformen suchen und den Hunger nach „Brot des Lebens“ wachzuhalten. Jede Krise kann eine Chance sein, Gott intensiver zu entdecken und zu erfahren.

6. Corona – eine Herausforderung

„Ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der letzte wird er aus dem Staub sich erheben. Und ist meine Haut noch so zerschlagen und mein Fleisch dahingeschwunden, so werde ich doch Gott schauen.“ (Hiob 19, 25)

Schon im Alten Testament, noch mehr im Evangelium von Jesus Christus wird die Gewissheit bezeugt, dass das irdische Leben nicht Endstation sondern Auftakt einer erlösten Wirklichkeit in Gottes unmittelbarer Gegenwart ist. Was für ein Trost – vor allem für unmittelbar von der Pandemie Betroffene, die durch Erkrankung Schäden zurückbehalten oder gar daran sterben!
Krisenzeiten erfordern Flexibilität und Kreativität. Mit dem Abbruch vieler Beziehungen, bislang gültiger gesellschaftlicher Übereinkünfte und Allianzen müssen neue Wege zum Menschen gesucht und begangen werden.
Christen nehmen teil an der Mission Gottes in Jesus. Der Wandel der Gesellschaft lässt sie nach neuen Wegen suchen, z.B. auf digitalem Wege, Menschen anzusprechen und zu erreichen. Dabei bleibt Jesus das Zentrum. Der Heilige Geist führt Menschen zu ihm und zu einander. Daraus können neue geistliche Wirklichkeiten erwachsen, die die Kirche Jesu Christi beleben und beflügeln in Erwartung des neuen Himmels und der neuen Erde, die er verheißt.

Pastor Gerald Flade, Eldagsen (März 2021)